„Wir bestehen quasi nur aus Türen und Fenstern.“ Oliver-Lloyd Böhm beschreibt, für welche Bedürfnisse das 24 qm kleine Backsteinhäuschen am Südwestkorso früher Raum bereit hielt: „Überall war ein Eingang für eine andere Funktion. Hier war eine Telefonzelle drin, da ein Zeitungskiosk, da war die Herrentoilette, die Damentoilette, der Aufenthaltsraum für den Straßenbahnrangeur.“

Seit zwei Jahren beherbergt das 1917 errichtete und vom Innenarchitekten und inzwischen auch passionierten Gastwirt Böhm mit viel Liebe renovierte Gebäude die Kaiserdiele. Das kleine Wein-Restaurant verfügt über einen winzigen Küchen- und Tresenbereich und einen Tisch für alle Gäste. Für Liebespaare ist in der Nische eine Bank reserviert.

Wer in die Kaiserdiele kommt, möchte Menschen treffen – hier kann man nicht allein sitzen. Böhm erzählt, dass sich bei ihm schon Leute begegnet sind, die 20 Jahre gemeinsam in einem benachbarten großen Mietshaus wohnten. „An diesem Tisch haben sie zum ersten Mal miteinander geredet. Man kennt sich vom Sehen und sagt manchmal so verstohlen ‚Hallo!‘. Dann sitzen sie plötzlich hier, unterhalten sich und sind jetzt Freunde.“

Der Speiseplan ist – der Größe der Küche entsprechend – klein. „Ich koch meistens mit meiner Mama zusammen. Wir haben hier drin eine Herdplatte. Da kochen wir in großen Töpfen gern Schmorgerichte. Alles, was man gut in einem Topf machen kann: Choucroute alsacienne mit Blutwürsten drin oder kleinen Hachsen. Oder Nierchen in Calvados. Auch gerne Hirsch oder Reh oder Wildschwein.“

Beim Interieur orientiert sich Böhm am ersten Drittel des vergangenen Jahrhunderts. Neben dem Eingang hängt ein schwarzes Bakelit-Telefon. In der Sammlung alter Schellackplatten im Regal findet man die Comedian Harmonists, die in der Stubenrauchstraße um die Ecke ihre Karriere begannen. Die 115 Jahre alten kupfernen Glühlampenfassungen hat Böhm in Österreich aufgetrieben. Von der Wand überwacht als Namensgeber des Etablissements ein vielgeschmückter Wilhelm II. in Paradeuniform den Trubel.

Dabei hat des Monarchen Prachtkleid indirekt Auswirkung auf die Schankzeiten der Weinwirtschaft: Bei sommerlichem Kaiserwetter öffnen die Türen schon um 14 statt erst 16 Uhr. Und was es mit dem Kaiserwetter auf sich hat, erklärt Böhm:

„Weil der Kaiser durch seine Behinderung, der hatte ja einen verkrüppelten Arm, immer so ein bisschen Minderwertigkeitskomplexe hatte, war er ein großer Fan von Uniformen. Und die Uniformen hat er sich selbst entworfen und seine schönste war die des Garde du Corps. Das ist auch die Uniform, in der wir ihn hier zu hängen haben, eine weiße, die trug man nur bei Sonne. Deshalb ist der Kaiser nur zu offiziellen Anlässen gegangen, wenn Sonnenschein war, weil er dann die weiße Uniform tragen konnte. Dann sagte man immer, wenn schönes Wetter war: Ist wieder Kaiserwetter, jetzt kommt der Kaiser.“

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Am 9.11.1989 enthüllte Juwelier Lorenz die Friedensuhr.Zeit sprengt alle Mauern